Der Anspruch auf umfassende gesellschaftliche Teilhabe darf nicht aufgegeben werden

Lesezeit
1 Minute
Gelesen

Der Anspruch auf umfassende gesellschaftliche Teilhabe darf nicht aufgegeben werden

0 Kommentare

Die Interessengemeinschaft Mittendrin Ulm und Menschen mit Behinderungen in Zeiten von Corona. Ein Gespräch mit der Sprecherin der ig mittendrin, Sonja Eilks vom Club „Körperbehinderte und ihre Freunde“, dem Ulmer Inklusionsbeauftragten Oliver Arnold und Franz Schweitzer von der Behindertenstiftung Tannenhof.

ig mittendrinWas ist die ig mittendrin?
SE: 2005 haben sich in Ulm soziale Organisationen und Selbsthilfegruppen zur „ig mittendrin“ zusammengeschlossen. Wir machen jedes Jahr um den 5. Mai herum, dem „Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen“, mit öffentlichen Aktionen auf die soziale und gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinderungen aufmerksam.

OA: Dabei ist unser Name Programm: Gleichstellung, Teilhabe und Inklusion dürfen sich nicht nur auf Gesetze beschränken, sondern müssen „mittendrin“ in den Kommunen und Betrieben gelebte Wirklichkeit werden. Das betrifft die Barrierefreiheit im Öffentlichen Nahverkehr genauso wie die Diskriminierung vom Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben oder am Wohnungsmarkt – und zielt letztlich auf die „Schranken im Kopf“ in unserer Haltung gegenüber behinderten Menschen.

FS: Die Kluft zwischen dem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf Gleichberechtigung und der tatsächlichen Lebenswirklichkeit muss überwunden werden. Wir sind immer noch weit davon entfernt, Behinderung als „normal“ und Menschen mit Behinderung als dazugehörig zu akzeptieren.

Corona hat unseren Alltag stark verändert. Wie sind Menschen mit Behinderungen davon betroffen?
SE: Zunächst sind behinderte Menschen natürlich in gleichem Maße betroffen wie alle anderen auch. Dazu kommt aber, dass viele Menschen mit Behinderung auf regelmäßige Unterstützung angewiesen sind. Menschen im Rollstuhl brauchen z.B. regelmäßig Krankengymnastik, das war einfach nicht mehr möglich, Pflegedienste konnten nur noch eingeschränkt arbeiten. Für viele ist die gewohnte Tagesstruktur von heute auf morgen zusammengebrochen, weil z.B. Werkstätten oder der Club schließen mussten.

FS: Gerade Menschen mit Lernschwierigkeiten konnten nicht verstehen, warum sie plötzlich ihre Wohnung nicht mehr verlassen durften oder Schutzmasken tragen sollen. Ich halte es für falsch behinderte Menschen per se als „besondere Risikogruppe“ einzustufen. Notwendige Schutzmaßnahmen dürfen nicht zu dauerhafter sozialer Isolation führen. Und es besteht die Gefahr, dass oft hart erarbeitete individuelle Selbständigkeit im Alltag verloren geht.

Dieses Jahr gab es corona-bedingt keine öffentlichen Aktionen. Wie geht es weiter?
OA: Viele Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen machen sich große Sorgen, dass Inklusion zu den sozialen und ökonomischen Opfern von Corona gehört. Inklusion ist kein Thema für Sonntagsreden in wirtschaftlich guten Zeiten. Der Anspruch auf umfassende gesellschaftliche Teilhabe darf nicht aufgegeben werden. Dafür treten wir weiter ein.

SE: Konkret wollen wir nächstes Jahr die Situation von behinderten Menschen auf dem Arbeitsmarkt zum Thema machen. Menschen mit Behinderungen sind schon lange vor Corona überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Wir fürchten, dass die drohende wirtschaftliche Krise dies noch verstärken wird. Vielleicht können wir mit unserer Aktion dazu beitragen, dass ein breites Umdenken in die richtige Richtung – für eine solidarische Gesellschaft – stattfindet.


Kontakt:
eilks.s@caritas-ulm-alb-donau.de oder o.arnold@ulm.de