Kinderrechte 2.0: Der Umgang mit digitalen Medien

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Kinderrechte 2.0: Der Umgang mit digitalen Medien

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Interview mit Martina Skipski, Jugendmedienschutz-Stelle der Stadt Ulm

Seit die UN-Kinderrechtskonvention 1989 verabschiedet wurde, hat sich unsere Gesellschaft grundlegend verändert. Trotzdem: Die darin formulierten Kinderrechte gelten uneingeschränkt auch in der digitalen Welt. Bereits im Grundschulalter sind Kinder in den digitalen Medien unterwegs und vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Darauf sollten sie vorbereitet sein. Dies ist eine der Aufgaben von Martina Skipski, der Jugendmedienschutz-Beauftragten der Stadt Ulm. agzente plus hat sich mit der agilen Informationswissenschaftlerin mit Schwerpunkt in der Medienpädagogik über das Thema Kinderrechte im Netz unterhalten.

Frau Skipski, was sind Ihre Hauptaufgaben beim Jugendmedienschutz der Stadt Ulm?
Der Jugendmedienschutz ist bei der Stadt zusammen mit der Medienpädagogik dem Bereich Jugendschutz zugeordnet. Dabei geht es vor allem um den erzieherischen Aspekt, also Gefahren aufzuzeigen und präventiv zu arbeiten. Grundsätzlich können sich alle Betroffenen an mich wenden, aber hauptsächlich sind die Schulen meine "Kunden" und laden mich zu Unterrichtsbesuchen ein. 

Wir sprechen hier von Jugend-Medienschutz, schließt dies auch Kinder ein, bzw. wo sehen Sie die Grenze zwischen Kindern und Jugendlichen?
Ich persönlich ziehe da keine Grenze zwischen Jugend- und Kindermedienschutz, der mit der Verbreitung von Smartphones in Kinderhänden enorm wichtig geworden ist. Ich bin häufig bereits in Klasse 4 unterwegs, weil viele schon in diesem Alter ein Smartphone haben oder mit benutzen und bereits Erfahrung mit sozialen Netzwerken haben. Zunehmend haben jedoch auch noch jüngere Kinder Zugang zu Smartphones

Halten Sie dieses Alter für angemessen, um in die digitale Welt einzusteigen?
Eigentlich nicht. Ich finde das relativ früh, aber das entscheiden ja nicht Gesetze, sondern die Eltern. Meine Arbeit orientiert sich daher immer an den Trends – daran, was in der Realität abläuft, nicht was ich gerne hätte. Laut Gesetz dürfen soziale Netzwerke erst ab 16 benutzt werden, aber die meisten Kinder kommen schon mit 10 Jahren damit in Berührung, mit Erlaubnis der Eltern. Die Mediennutzung ist ein gesamt-gesellschaftliches Thema, eine Frage, wie wir miteinander kommunizieren. Daran sind alle beteiligt, in erster Linie die Eltern, aber auch Schulen und der Jugendschutz. Ich schaue mir dabei an, was mit den Medien gemacht wird, welche Bedürfnisse befriedigt werden etc. 

Altersgrenzen bei WhatsApp, Youtube & Co. sind also nicht realistisch?
Meiner Meinung nach kann das gesetzlich nicht bestimmt werden. Gesetze müssen Altersgrenzen für Inhalte festlegen, z.B. für Pornographie oder bestimmte Spiele, aber die Kontrolle ist Aufgabe der Eltern. Häufig gibt es da Ängste und Vorbehalte, weil sich die Kinder viel besser mit den Geräten auskennen und auch die diversen Kontrollfunktionen zu umgehen wissen. Und wenn das eigene Smartphone geschützt ist, schaut mach eben beim Nachbarn rein… Kinder kommen dabei leicht mit Inhalten in Berührung, die sie überfordern und für ihr Alter nicht geeignet sind.

Gibt es auch kindgerechte soziale Medien?
Ja, die gibt es. Wir haben in Baden-Württemberg z.B. ein Projekt, bei dem eigene Kommunikations-Apps in Schulen getestet werden, eine Art offizieller Klassen-Chat, an dem auch die Lehrer beteiligt sind, aber das steht noch ganz am Anfang. Ich finde es allerdings schwierig, z.B. eine Alternative für WhatsApp zu suchen. Wenn alle damit kommunizieren, bringt es nichts, Einzelne auszuschließen. Natürlich ist WhatsApp vom Datenschutz her problematisch, denn die Firma verdient ihr Geld mit Datenhandel. Und da die Server im Ausland stehen, kommen wir auch über unsere Gesetze nicht ran. Deshalb ist Aufklärung hier enorm wichtig. Wenn ich den Kindern erkläre, dass es nichts umsonst gibt und sie die digitalen Medien bezahlen müssen, und zwar mit ihren Daten, dann verstehen das auch Viertklässler. Daten sind die neue Währung, alle Klicks, Likes und Interessen werden ausgewertet und vermarktet.

Das erfordert eine Menge Medienkompetenz. Wo können Kinder die erwerben?
Das verteilt sich auf mehrere Schultern. Wir arbeiten im Mediennetz Ulm/Alb-Donau eng zusammen.  Unter anderem ist es auch meine Aufgabe, Kinder an digitale Medien heranzuführen, gemeinsam mit den Schulen. Genauso wichtig ist aber das Elternhaus. Es muss Regeln geben für die Mediennutzung, um den verantwortungsvollen Umgang damit zu lernen. Z.B. hat ein Smartphone bei Nacht nichts im Kinderzimmer verloren. Ein respektvoller Umgang miteinander wirkt auch in die digitalen Medien hinein und es ist eine Frage der Kommunikation, ob am Esstisch alle in ihr Smartphone starren oder nicht. Da kann sich keiner ausnehmen.

Kommen wir mal auf das Thema Kinderrechte zu sprechen. Neben den Risiken bieten die digitalen Medien ja auch erhebliche Möglichkeiten für Kinder. Welche halten Sie für wichtig?
Ja, das Internet bietet sehr viele Möglichkeiten, vor allem für die Informationsfreiheit und das Recht auf Bildung. Viele Kinder nutzen es gezielt zur Information, nicht nur für Freizeitzwecke, sondern auch für Recherchen zu Wissensthemen oder politischen Dingen, beispielsweise um Referate für die Schule vorzubereiten. 

Vieles gerade in den sozialen Netzen ist weit entfernt von sachlicher Information. Können Kinder unterscheiden, was dabei Information und was Meinung ist?
Viele, aber nicht alle. Dabei spielt die Informationskompetenz eine wichtige Rolle, also zu entscheiden, welche Quellen glaubwürdig sind. In den schulischen Arbeiten müssen ja Quellen angegeben werden, da empfiehlt es sich, auch über die Quellen und ihre Glaubwürdigkeit zu sprechen.

Wo sehen Sie die größten Gefahren in Bezug auf Kinderrechte?
Vor allem das Recht auf ein gewaltfreies Leben ist im Internet sehr stark gefährdet. Allein durch kleine Tippfehler bei der Recherche gelangt man oft auf Seiten, die Kinder emotional überfordern durch gefährliche oder nicht altersgerechte Inhalte, wie Gewaltvideos oder Pornografie. Z.B. gab es vor einiger Zeit diese barbarischen IS-Kriegsszenen mit Enthauptungen etc., die sehr oft geteilt und herumgezeigt wurden. Damit können Kinder nicht umgehen und leiden darunter, gerade wenn sie sich damit nicht Erwachsenen anvertrauen. 

Welche Bedeutung hat das Cybermobbing, z.B. an den Schulen?
Das ist sehr gravierend. Auch hier betrifft es das Recht auf ein gewaltfreies Leben. Wenn Lehrer oder Mitschüler bewusst gemobbt oder durch Hasskommentare verunglimpft werden, ist das natürlich auch eine Form von Gewalt. Aber ich denke nicht, dass Cybermobbing beim Smartphone beginnt. Es geht dabei vor allem um Sozialverhalten und Kommunikation, also wie wir in der Klasse miteinander umgehen und Konflikte lösen. Es ist wichtig, den Kindern klar zu machen, dass auch im Internet unsere Gesetze gelten. Auch Cybermobbing kann z.B. zu einer Anzeige führen. Allerdings ist die Hemmschwelle online wesentlich geringer, als wenn man es der oder dem Betreffenden ins Gesicht sagt. Man braucht weniger Mut und bekommt die Reaktion nicht direkt mit. 

Was lässt sich dagegen tun?
Hilfe für Mobbingopfer gibt es unter anderem bei der Schulsozialarbeit. Das sind Spezialisten, die z.B. auch in der Mobbing-Intervention ausgebildet sind. Natürlich sind aber auch Lehrer und Eltern gefragt, rechtzeitig einzugreifen.

Vor allem in den sozialen Medien spielt Werbung eine enorme Rolle. Wie viel Einfluss hat die Werbewirtschaft auf Kinder?
Das ist ein großes Thema, das ich bei allen Schulbesuchen anspreche. Beispielsweise im Fernsehen ist die Werbung viel offensichtlicher und richtet sich an die Zielgruppe der jeweiligen Sendung. Online ist das wesentlich subtiler. Wenn z.B. Influencer in ihren Videos ständig ein bestimmtes Getränk konsumieren, ist das Produktwerbung. Sie haben einen Vertrag unterschrieben und müssen dieses Getränk zeigen. Ob sie es überhaupt mögen, wissen wir ja nicht. Dafür muss der Blick der Konsumenten erst mal geschult werden. 
Dieses "Product Placement" muss inzwischen zwar gekennzeichnet werden, aber was nützt das, wenn der bewunderte YouTuber so toll in seinen neuen Schuhen aussieht und direkt darunter der Link zur Bestellung kommt. Natürlich klickt man dann drauf und jeder Klick wird aufgezeichnet und ausgewertet. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Infuencer ihre Videos nicht aus Spaß machen. Sie sind Unternehmer und verdienen ihr Geld mit Werbung, sie müssen diese Videos abliefern. Auch wenn sie wirken wie ein zufälliges Produkt aus dem Kinderzimmer, ist alles genau geplant. Inzwischen gibt es Castings für Influencer und Studiengänge für Infuencing. Natürlich gibt es auch viele YouTuber, die z.B. politisch aktiv sind und hinter ihren Themen stehen, aber die verdienen damit kein Geld oder nur sehr wenig.

Können Sie sagen, wie weit Ihre Präventionsarbeit das Medienverhalten beeinflusst?
Ich kann nicht davon ausgehen, das Denken der Kinder beeinflussen zu können. Trotzdem bewirkt es vielleicht den einen oder anderen Geistesblitz, wenn man im Internet auf Werbung, Gewalt oder gar Straftaten stößt und vorher darüber gesprochen hat, auch wenn man dann vielleicht nicht danach handelt. Kinder vor oder in der Pubertät orientieren sich vorwiegend an ihrer Peergroup und was da gerade angesagt ist. Trotzdem müssen auch wir Erwachsene unseren Beitrag leisten und mit unseren Kindern darüber reden. Je weniger wir dabei mit erhobenem Zeigefinger kommen, desto mehr lässt sich bewirken.

Das Interview führte Thomas Dombeck

 


Stadt Ulm, Medienpädagogik und Jugendmedienschutz
Olgastraße 143, 89073 Ulm
Tel. 0731 161-5457, Mail: m.skipski@ulm.de

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