Maßstab für verantwortungsvoll denkende Unternehmen

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Maßstab für verantwortungsvoll denkende Unternehmen

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Für Unternehmen, die ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl gerecht werden wollen, stellt die Organisation ecogood.org mit der Gemeinwohl-Bilanz ein Werkzeug zur kritischen Analyse der Geschäftstätigkeit bereit. Anhand einfacher Werte (Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Transparenz) werden die einzelnen Geschäftsbereiche mit Hilfe festgelegter Kriterien bewertet. Die durch zertifizierte Auditoren geprüfte Bilanz lässt eine Einordnung des Unternehmens zu und zeigt weiteren Handlungsbedarf auf.

Peter Steiner unterzieht sich mit seinem Architekturbüro "4plus5" als erstes Ulmer Unternehmen der Gemeinwohl-Bilanzierung. Vier weitere wollen dem Beispiel folgen. agzente plus fragte nach Erfahrungen und was die GWÖ aus unternehmerischer Sicht bedeutet.

Können Ihre Angestellten in einem GWÖ-Unternehmen kommen und gehen, wie sie wollen?
Nun, wir haben schon Regeln. So sollte das Büro zwischen 8 und 17 Uhr grundsätzlich besetzt sein. Wobei nicht genau definiert wird, wer wann kommt oder geht. Das wird meist am Vortag abge-stimmt. Morgens versuchen wir eine kurze, gemeinsame Kaffeerunde als Start in den Tag zu machen – da ist es schön, wenn möglichst viele dabei sind. Wir haben festgestellt, dass gemeinsame Bürozeiten gut für das Team sind. Abstimmungen, Klärungen oder Besprechungen bei Teamprojekten sind so flexibel möglich. Schließlich bringt es unser Beruf mit sich, dass wir vergleichsweise viel unterwegs sind. Da tut es einfach auch gut, sich untereinander auszutauschen oder abzustimmen. Trotzdem können wir uns verschiedene und flexible Modelle vorstellen und leben diese in Teilen auch bereits.

Wie kam es zu der Idee, eine Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen?
Die Initialzündung geht auf den Vortrag von Christian Felber im Haus der Begegnung vor 2 Jahren zurück. Ich saß damals als Zuhörer dort und war schwer beeindruckt von seinem Modell, das Ge-meinwohl wieder ins Zentrum des wirtschaftlichen Handelns zu rücken. So ähnlich hatten wir als Bürogemeinschaft 2008 begonnen – mit der Idee, unser Büro als persönlichen und gemeinsamen Entwicklungsraum für uns, unsere Mitarbeitenden und nicht zuletzt unsere Auftraggeber zu schaffen. Immer im Bewusstsein, dass Alles, was wir tun, uns, unser Umfeld und letztlich die Gesellschaft mitprägt. So hatten wir uns von Beginn an der Erdcharta der UN mit den dort formulierten Werten  verpflichtet. Als Selbstständiger steht man im Alltag dann aber unter permanentem Druck und versucht, den immer neuen Anforderungen irgendwie gerecht zu werden. Sich von Zeit zu Zeit ganz bewusst wieder ein Stück aus dem Alltagsgeschehen zu lösen und über Visionen und übergeordnete Ziele nachzudenken, ist unheimlich wichtig, fällt aber oft schwer. So erschien uns die Gemeinwohlbilanz als eine Chance, zu prüfen, wo wir auf dem ursprünglich angedachten Weg stehen, wo es noch hapert und wohin sich unsere Ziele zwischenzeitlich weiterentwickelt oder auch verändert haben.

Wie fällt die Gemeinwohl-Bilanz Ihres Unternehmens bisher aus?
Wir sind ganz zufrieden damit, sehen aber noch deutliches Entwicklungspotential. Die Bilanz ist ja sehr umfassend, es werden sämtliche Bereiche untersucht und hinterfragt. Im ersten Schritt haben wir uns anhand der vorgegebenen Kriterien selbst bewertet. Der zweite Schritt, die externe Auditierung findet grade statt. Erst dann ist unsere Bilanz vollwertig, darf veröffentlicht werden und wir werden sehen, wo wir letztlich stehen. In manchen Bereichen handeln wir schon sehr Gemeinwohl-orientiert, etwa beim Umgang mit  Mitarbeiter*innen und Kund*innen oder bei der Bewertung, welchen Nutzen unsere Arbeit für die Allgemeinheit bringt. Andere Bereiche wie die ökologische Nachhaltigkeit fordern uns bei der täglichen Arbeit permanent, z.B. beim Ressourcen- oder Flächenverbrauch oder den Materialqualitäten. Das ist ein unendliches, kaum durchschaubares Gebiet. Vieles, was als nachhaltig angepriesen wird, ist oft nur bestimmten Interessen geschuldet. Hier können wir uns sicherlich noch weiterentwickeln.

Hat sich die Unternehmenskultur damit verändert?
Unsere erste Bilanz hat uns schon beeinflusst. Seitdem fahren wir in der Stadt mit dem E-Bike auf die Baustellen ;-)  Aber ernsthaft: Natürlich hat die Bilanz Prozesse angestoßen. Ich habe das Gefühl, dass zum Beispiel die Kommunikationskultur im Unternehmen offener wurde. Grundsätzlich glaube ich aber, dass grundlegende Veränderungen Zeit brauchen und nur dann funktionieren, wenn wir es schaffen, permanent dranzubleiben. Wir sind schließlich alle "klassisch" geprägt und die GWÖ stellt in vielen Bereichen genau dieses klassische Modell in Frage und setzt bei jedem Einzelnen an. Da liegt auch bei 4plus5 noch ein gutes Stück Weg vor uns.

Ist ein Unternehmen wettbewerbsfähig, wenn es nach GWÖ-Maßstäben wirtschaftet?
Wir sind ja Dienstleister und haben es da ein wenig einfacher als zum Beispiel ein produzierendes Gewerbe. Unsere Wertschöpfung findet durch unsere Tätigkeit, Ideen und das erfolgreiche Ender-gebnis statt. Auch hilft uns Architekten dabei die staatlich festgelegte Honorarordnung, bei der die Vergütung für jedes Büro letztlich gleich ausfällt – egal wer diese erbringt. In anderen Branchen liegt der Fokus derzeit alleine auf der finanziellen Bilanz am Jahresende. Je höher der Gewinn eines Unternehmens ausfällt, umso erfolgreicher wird es bewertet. Genau das ist ja die Krux am System. Ob dieses Unternehmen seine Angestellten auskömmlich bezahlt oder der Wertschöpfungsprozess zu Lasten der Allgemeinheit und der Umwelt geht, wird in der Bilanz nicht abgebildet. Hier fehlen klare Anreize der Politik, Gemeinwohl-orientiertes Verhalten zu belohnen. Und solange werden es produzierende Betriebe schwer haben, durch GWÖ-Maßstäbe Wettbewerbsvorteile zu erzielen. 

Was versprechen Sie sich als Unternehmer von der Bilanz?
Es sind eigentlich drei Dinge: Zum einen haben wir mit der Bilanz ein Tool, um unsere unterneh-menseigenen Prozesse zu durchleuchten, besser zu verstehen und in die richtige Richtung weiterzuentwickeln. Das empfinde ich als äußerst wertvoll. Zum anderen wächst die Bewegung dynamisch und es ist erklärtes Ziel, dass sich gemeinwohlorientierte Unternehmen vernetzen und gemeinsam kooperieren. Davon können wir als kleines Unternehmen profitieren – wenn wir wissen, dass mögliche Kooperationspartner mit derselben Ernsthaftigkeit und Intention an gemeinsame Projekte herangehen. Und zum dritten: Natürlich sind wir auch ein wenig stolz darauf, diesen Prozess begonnen und unsere Bilanz erstellt zu haben. So hoffen wir natürlich, auch von Kunden gefunden zu werden, die mit ähnlichen Wertvorstellungen unterwegs sind.

Kann jedes Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz aufstellen, oder ist das branchenabhängig?
Eigentlich kann man diesen Prozess jedem Unternehmen nur wärmstens ans Herz legen. Schließlich soll das Modell ja universell nutzbar sein. In der Bilanz werden allerdings auch Negativkriterien abgefragt, die für einige Branchen sicherlich "ungemütlich" sind. In der Modebranche die Verletzung von Menschenrechten  bei der Produktion auszuschließen, grenzt vermutlich an Unmöglichkeit. Auch wird ein Rüstungsunternehmen große Schwierigkeiten haben, die eigenen Produkte nicht als per se menschenunwürdig zu definieren. Dort gibt es zu Recht gravierende Abwertungen in der Gesamtbilanz. Und doch: Stellt sich ein solches Unternehmen trotzdem diesem Prozess und erkennt die Vorteile, sich negativer Kriterien zu entledigen, haben unterm Strich alle gewonnen. Spätestens, wenn die Gemeinwohl-Bilanz irgendwann verpflichtend wird und z.B. an die Besteuerung gekoppelt ist, wird es sich auch für Unternehmen lohnen, die sich heute mit dem Totschlag-Argument "Arbeitsplatz" oder dem Druck der Shareholder noch immer gesellschaftlicher Verantwortung entziehen.

Interview: Thomas Dombeck