Nah-Wachsendes essen

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Nah-Wachsendes essen

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Solawi - Klingt wie ein afrikanisches Dorf, meint aber Verbraucher, die eine Art Aktie an einem Bauernhof in der Nähe von Ulm haben. Die Ausschüttung findet jede Woche statt. In Form von Naturalien. Genauer gesagt: Gemüse.

Fotos: Isabella Hafner
 

Dieses Woche liegen in den grünen Mehrweg-Kisten ein Salat, ein Kohlrabi, Petersilie, Schlangengurken, Rote Bete, Erdbeeren und Rucola. Es ist aber immer ein bisschen eine Überraschung, mit was dienstags die mittlerweile schon sieben Verteilerstationen - die Depots - in Ulm und Neu-Ulm gefüllt sind. Einen Tag vorher wird das Geheimnis per Newsletter gelüftet.

Eines dieser Depots befindet sich in einer Garage oberhalb der Brauerei Goldochsen. Eine Familie stellt den Gemüse-Unterschlupf zur Verfügung. Garagentor hochschieben und auf der aufgehängten Liste schauen, was man sich aus den grünen Mehrweg-Plastikkisten nehmen darf. Vieles davon muss erstmal auf die Waage, ehe es in die mitgebrachten Taschen wandert. Auch Eier gibt’s mittlerweile auf Wunsch dazu.

Abholen dürfen das alles die, die ein Abo bei der Ulmer Solidarischen Landwirtschaft abgeschlossen haben. Die Mitglieder nennen sie ganz lapidar: Solawi. Sie haben durch ihre Mitgliedschaft eine geschäftliche Partnerschaft mit Landwirt René Schimming abgeschlossen, dessen Hofgut Neubronn südlich von Ulm liegt. Zwischen Holzschwang und Holzheim. Seit 1997 baut er nach den Öko-Richtlinien des Bioland-Verbands auf knapp elf Hektar Gemüse an, das hier heimisch ist, beziehungsweise heimisch geworden ist. Und das liefert er in Ulm und Neu-Ulm aus.

Wer im Mai gerne Gemüse hätte, muss sich beispielsweise mit Rote Bete, Kohlrabi oder Grünem Salat arrangieren. Dann aber zieht die Vielfalt an. Denn es sprießt und wächst auf den Feldern des Hofguts Neubronn. Da die Verbraucher somit an den Takt, den die Natur vorgibt anpassen, können sie sich dann im Hochsommer auf den Beginn der Tomatenzeit freuen. Wenn es dann soweit ist, schmecken sie auch wie Tomaten, die sich ordentlich sonnen durften.

Was an dem Konzept ist solidarisch? Ganz einfach: Aktuell 127 Haushalte tragen die Kosten seines landwirtschaftlichen Betriebes und erhalten im Gegenzug die Ernte. Es sind Studenten, junge Familien, aber auch Rentner. Im Sommer und Herbst ist es naturgemäß etwas mehr. Landwirt Rene Schimmig hat auf diese Weise feste Abnehmer und ist unabhängig von den drückenden Preisen auf dem freien Markt. Er hat Planungssicherheit, die Abonnements laufen immer ein Jahr lang. Das unternehmerische Risiko teilen sich die Konsumenten, die mit der Solawi ihre Lebensmittelversorgung sozusagen selbst in die Hand nehmen. Rene Schimmig macht keinen Gewinn mit der Solawi. Mit dem Geld der Mitglieder bezahlt er sich seine Arbeitszeit und das Pflanzgut. Die Solawi ist ein Teil seines Betriebskonzepts, die ihm Stabilität gibt, wenn die Ernte auch mal nicht so gut ist. Gewinne erzielt er dagegen, wenn er sein Gemüse an Bioläden, Gastronomien, Firmenkantinen und Bauernhof-Läden verkauft.

Aktuell sind in Deutschland fast 170 Solidarische Landwirtschaften im gleichnamigen Netzwerk vereint. Die Solawi um Landwirt Schimmig, der eigentlich gelernter Chemiker ist, aber 1997 im Gemüseanbau seine "Berufung" gefunden hat, gibt es seit Mai 2017. Schimmig wollte vor 22 Jahren eigentlich Milchbauer werden und brauchte einen Kredit von der Bank wegen der hohen Investitionen. Die gab ihm aber keinen. "Im Nachhinein müsste ich mich bei der Bank bedanken", sagt er und lacht. Denn alternativ entschied er sich für den weniger investitionsintensiven Gemüseanbau. Und damals war ihm klar: Bio, was sonst?!

Die Abonnenten haben aktuell Anteile für monatlich Minimum 70 Euro gebucht. Wer mehr Geld hat, darf auch gerne etwas mehr zahlen. Ein Anteil reicht für ein bis zwei Personen, Familien abonnieren einfach mehrere. Immer im Mai werden neue Anteilnehmer aufgenommen.

Das Gemüse-Abo vereint gleich mehrere Vorteile. Es entstehen keine Verpackungsmüllberge - genauer gesagt, es gibt gar keine Verpackung; zum Abholen muss man selbst Tasche oder Korb mitnehmen. Und ja, im Gegensatz zu anderen Bio-Kisten-Abos bekommt man die wöchentliche Ernte vom Hofgut Neubronn nicht brav vor die Haustüre geliefert und kann sich so den Weg zum Supermarkt sparen. Nein. Hier muss man zu einem der sieben Depots selbst fahren. Am besten natürlich radeln. Dann hinterlässt nicht nur das Gemüse - während seines Transports vom rund 15 Kilometer entfernten Hofgut Neubronn bis nach Ulm - einen wirklich kleinen CO²-Fußabdruck.

Ein schöner Nebeneffekt, wenn man bei der Solawi mitmacht: Man lernt neue Gemüsesorten kennen und probiert - weil man sie dann ja irgendwie verwerten muss - auch mal ganz neue Gerichte aus. Dieses Herumexperimentieren kann spannend sein. Nicht jeder hat schließlich Erfahrung mit Portulak… häh? Portu-was? Postelein verbergen sich dahinter. Noch nicht klar? Ok, auch Tellerkraut genannt oder Spring Beauty oder Kuba-Spinat.

Natürlich kann es einen schon mal stressen, wenn man weiß, man muss genau am Dienstag das Gemüse holen. Aber andererseits: Von 7 bis 19 Uhr kann man das normalerweise gut schaffen. Vor der Arbeit, nach der Arbeit… Der ein oder andere schließt sich auch einfach mit Nachbarn zusammen, dann muss nicht jeder einzeln zum Abholen fahren.

Ungewohnter Stress kann auch ausbrechen, wenn man weiß: Mit einer Biokiste muss man lernen, zu planen, was man die Woche über kochen will. Doch wer beispielsweise am Dienstag, dem Tag der Solawi-Lieferung - plant, was er die nächsten sieben Tage essen will, ist für den Rest der Woche entlastet. Muss sich nicht jeden Tag neu überlegen, was er kochen will, was aber dann an Zutaten wieder nicht daheim ist, was er also noch schnell besorgen muss. Stattdessen: Einmal hinsetzen, im Kochbuch stöbern, Einkaufsliste schreiben für die Zutaten, die noch fehlen, einkaufen gehen - und eine Woche lang Ruhe.

Lernen muss oder besser "darf" man als Solawi-Anteilseigner auch, kreativ aus Resten etwas Leckeres zu zaubern. Nicht jeder weiß auf Anhieb, was er nun mit der Roten Bete und dem Staudensellerie noch Phänomenales anstellen soll. Damit aber eignet man sich eine Kulturtechnik an, die unsere Omas aus dem Effeff beherrsch(t)en. Hat man diese kreative Fertigkeit erstmal drauf, wird man in Zukunft sicherlich nur noch etwas wegwerfen, wenn es wirklich verschimmelt ist. Das Gefühl, aus Resten noch eine kleine Gaumenfreude hinbekommen zu haben: umwerfend!

Wahrscheinlich fühlt es sich so gut an, weil viele es mittlerweile verlernt haben, sich selbst zu versorgen. Und damit sich selbst eines der originären Grundbedürfnisse befriedigen zu können: essen. Man lernt, wie man das schnell hinbekommen kann, probiert aus, zelebriert das Kochen manchmal - mit der frischen, saisonalen Ernte vom Hofgut Neubronn… Wenn der Mensch kocht, wird er schöpferisch tätig. Er kreiert etwas. Und zwar von Anfang bis zum Ende. Und kann es danach auch noch verspeisen. Das kann sehr glücklich machen.

Isabella Hafner

 


SoLaWi Ulm: solawi-ulm.de

www.solidarische-landwirtschaft.org